INSEL + MEILE Museumskulturen

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Inklusions Checkup für die Museumswelt

Die Designerin Ellen Schweizer ist Inhaberin des Berliner Büros schweizergestaltung, das Museen und Gestaltungsbüros bei der Umsetzung von barrierearmen und inklusiven Angeboten berät – im Speziellen für blinde und seheingeschränkte Besucher*innen. Auch uns hat sie schon unterstützt: Mit viel Fingerspitzengefühl hat Ellen Schweizer eine historische Ansicht von Schloss Blankenhain in eine taktile Grafik übertragen. Sie ist Teil einer inklusiven Medienstation im Deutschen Landwirtschaftsmuseum Schloss Blankenhain. Wir fanden den Prozess, in dem aus einem zweidimensionalen Bild eine taktil erfahrbare Abbildung wird, unheimlich spannend und wollten mehr über diese Arbeit erfahren. Also haben wir Ellen Schweizer auf ein Wort gebeten …




Als Gestalterin haben Sie sich darauf spezialisiert, Bilder, Übersichtspläne und Exponate so abzubilden, dass sie für Menschen mit Sehbehinderung ertastbar sind. Wie gehen Sie dabei vor? 

Wie gehen Sie vor, wenn Sie ein Produkt oder eine Ausstellung für eine/n Kund:in gestalten? ;-)
Ich gehe vermutlich ähnlich vor. Ich halte mich an die Grundlehre der guten Gestaltung: Für mich ist Gestaltung, ein Produkt, eine Ausstellung nur gut, wenn sie für alle Menschen gedacht und zugänglich ist. Das heißt: motorisch, geistig, sinnlich, sprachlich. Natürlich mache ich Kompromisse, denn oft ist das was für die eine Gruppe sinnvoll ist, eher unvorteilhaft für eine andere Gruppe und es kann so weit gehen, dass man damit eine Gruppe von Besucher:innen komplett ausschließt. Deshalb geht es auch häufig darum, Entscheidungen zu treffen. Aber das ist im Design ja immer der Fall.

Qualität in diesem Sinne ist, dass ich für eine große und diverse Gruppe von Menschen arbeite — und somit für sie die Nutzung erleichtere oder gar ermögliche. Die Entscheidung für oder gegen etwas ist dann eine bewusste Entscheidung, die ich rechtfertigen kann.

Teilhabe ermöglichen! Auf unsere Initiative fügt die Berliner Pralinenmanufaktur Sawade ihrem Sortiment Brailleschrift hinzu. (Foto: Ellen Schweizer)

Bei Bildern und Exponaten beispielsweise steht zuallererst die Auswahl eines der Werke an. Es ist enorm wichtig und entscheidend, dass ich — oder andere Expert:innen — von Beginn an in den konzeptionellen Prozess involviert sind und das Vermittlungsziel kennen. Das geht nur in enger Zusammenarbeit mit den Kurator:innen. Das Werk, das wir auswählen und auf welche Weise wir den Bildungsauftrag ausführen, folgt dann dem Vermittlungsziel (taktiles Bild, 3D-Exponat mit oder ohne akustischer Wissensvermittlung, taktile Grafik, Hands On mit Sensorik etc.). Hier leben wir das Gesetz: form follows function.

Oft werde ich angefragt, ein bereits bestimmtes und ausgewähltes Werk für Menschen mit Seheinschränkung oder blinde Menschen umzusetzen. Aber oftmals ist dieses Werk dann gar nicht als Stellvertreter des Vermittlungsziels geeignet oder man kann das Bild gar nicht taktil lesbar übertragen, da es für blinde Menschen nicht als Form erklärbar ist. Möglichweise ist ein anderes Werk besser oder man vermittelt eher nicht über eine taktile Grafik, sondern bspw. über Audio. Im besten Fall nutzt man ohnehin beides, nach dem Zwei-Sinne-Prinzip. Taktile Bilder sind oftmals nicht oder sehr schlecht lesbar oder mit enormem Zeitaufwand für die blinde/seheingeschränkte Besucher:in. Deshalb weise ich meine Kund:innen immer darauf hin, dass die Beratung, bevor man sich für ein bestimmtes Werk entscheidet, eine entscheidende Rolle spielt. Damit man sich multiprofessionell für das geeignete Werk entscheiden kann.

 

 

Eignet sich jede bildliche Darstellung dafür, in eine taktile Grafik übertragen zu werden, oder gibt es etwas, das bei der Bildauswahl beachtet werden sollte?

Die Frage habe ich oben bereits angerissen. Es eignet sich nicht jedes Bild, Werk, Grafik etc. zur  taktilen Umsetzung. Das taktile Lesen funktioniert anders als das Lesen mit dem Auge, also das Sehen. Und es erfordert einen deutlich höheren Zeitaufwand. Zudem sind viele Dinge durch die fehlende Erfahrung von bspw. blinden Personen in der Vergangenheit gar nicht erlernt worden, d.h. sie können aus keinem taktilen Erfahrungsschatz schöpfen. Alles ist neu! Das heißt, man muss in Blindendidaktik etwas bewandert sein — oder viele blinde Menschen kennen, um Bilder in eine gelungene haptische Erfahrung umzusetzen. Einfach Linien taktil nachzuzeichnen funktioniert nicht. Das bedarf einem höheren Aufwand und Expertise der Materie. Es geht viel um Reduktion — also die Entscheidung, was man weglässt und was entscheidend ist für die Vermittlung. Das ist oftmals ein längerer Prozess, der sich am Ende aber immer auszahlt. Man sollte zudem immer im Zwei-Sinne-Prinzip denken, denn auch die beste taktile Umsetzung reicht möglicherweise nicht für alle aus, ein Werk taktil zu verstehen.

 

Bemusterungen aus verschiedenen Projekten & Kinderbücher, taktil illustriert und inklusiv, für die Edition ›Anderes Sehen‹ (Fotos: Ellen Schweizer)

Was würden Sie Museumsleiter*innen raten, die mit dem Gedanken spielen, ihr Haus für Menschen mit Sehbehinderung barriereärmer zu gestalten? Was wären die ersten beziehungsweise die wichtigsten Schritte?

Mit pauschalen Ratschlägen tue ich mich etwas schwer, aber ich kann aus der Erfahrung der letzten Jahre berichten. An jedem Anfang steht meist ein Beratungsgespräch, ein Erstgespräch, eine Art Anamnese, wie beim Arzt. Das kennt jeder. Ich nenne es ›Inklusions Checkup‹. Oftmals haben die Häuser gar nicht die Fantasie, wie weit man problemlos gehen kann und wie gut und ästhetisch eine Öffnung hin zum inklusiven bzw. barrierearmen Museum überhaupt aussieht bzw. aussehen kann. Ich stelle viele Fragen zu Inhalten, Vermittlungszielen etc. oder ob es bereits eine Vision gibt. Und natürlich nach dem Budget. Es gibt Häuser, die sich im Vorfeld schon intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt haben — oder bei anderen Häusern ›geschnuppert‹ haben. Dann gibt es wiederum Museen, bei denen ich in erster Linie Aufklärungsarbeit leiste. Meist eröffnen sich nach den ersten Gesprächen bei den Verantwortlichen neue Perspektiven — auch in der eigenen Wahrnehmung — und das Pflänzchen, das ich eingepflanzt habe, gedeiht. Denn inklusive Ausstellungsgestaltung ist ein Prozess, der implementiert werden muss, damit er zukünftig selbstverständlich ist.

 

Ihr Know-How ist sicher sehr gefragt. Gibt es für diesen speziellen Bereich des Grafikdesigns eine Ausbildung, Studiengang oder Weiterbildung. Was würden Sie Menschen empfehlen, die genau das machen möchten, was Sie machen?

Eine spezielle Ausbildung gibt es meines Wissens — zumindest in Deutschland — (noch) nicht. Andere Länder sind eventuell etwas weiter. Aber vielleicht hat sich ja auch an deutschen Hochschulen diesbezüglich etwas verändert in den vergangenen Jahren und man ist zukunftsorientierter. Die Nachfrage ist ja glücklicherweise gestiegen! Denn nicht nur durch die UN-BRK (Behindertenrechtskonvention der UN, Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen), sondern auch durch den demografischen Wandel und unseren Umgang mit Diversität sollten sich die Hochschulen neu aufstellen, sich weiterentwickeln, neue Studiengänge anbieten.

Ich wurde im letzten Jahr von zwei Schweizer Hochschulen eingeladen, zu ›Inclusive Design‹ zu dozieren. Und auch in diesem Jahr werde ich mit meiner Schweizer Kollegin an einer Hochschule zu diesem Thema unterrichten.

Da sich Design am Menschen und damit an seinen/ihren Bedürfnissen orientiert, denke ich, dass gutes Design sowieso inklusiv sein muss! Andersherum gesagt ist es ja kein gutes Design, wenn es nicht für ›alle‹ funktioniert. Ich muss mich als Gestalterin ja immer wieder fragen, wofür bzw. für wen ich das Produkt, die Ausstellung gestalte. Kommen denn keine Kinder, alte Menschen, Fremdsprachler:innen, sehbehinderte oder hörbehinderte Menschen, Väter und Mütter mit Baby, Rollstuhlnutzer:innen?
Der uns allen bekannte Gestalter Dieter Rams hat es bereits Ende der 1970er Jahre in seinen ›Zehn Thesen für gutes Design‹ formuliert. Z.B. Gutes Design macht ein Produkt brauchbar. Gutes Design macht ein Produkt verständlich. Wenn also bspw. die Waschmaschine nur über ein Touch Display gesteuert werden kann ist sie nutzlos für alle sehbehinderten und blinden Menschen. Heiß also: Sie ist für sie unbrauchbar; das Produkt, das Design hat versagt. Ein Drehknopf mit Sprachansage und Druckbestätigung muss zusätzlich zum Diplay mit Textausgabe.

Ich finde, diese Thesen gelten also genauso — und im inklusiven Sinne — auch für blinde und seheingeschränkte Menschen. Sie gelten für uns alle!