Alles andere als spießBÜRGERlich!
Dauerausstellung Gottfried-August-Bürger-Museum
Ausstellungskonzeption und -gestaltung
Gottfried August Bürger ist vielen Menschen als Verfasser der Münchhausen-Geschichten bekannt. Doch als Zeitgenosse von Schiller und Goethe machte er sich in der Epoche des Sturm und Drang insbesondere einen Namen als Sprachschöpfer und Balladenverfasser.
1747 kam er als Pfarrerssohn im malerischen Dorf Molmerswende in Sachsen-Anhalt zur Welt. In seinem Geburtshaus war ihm zu Ehren jahrzehntelang ein Museum untergebracht. Aufgrund des maroden Zustands des Gebäudes musste das Museum jedoch 2011 ausziehen. Es folgte eine umfangreiche, mehrjährige Sanierung. Die Zwangspause wurde als Anlass genutzt, das Museumskonzept neu zu überdenken. Der Förderverein beauftragte im Jahr 2021 INSEL + MEILE damit, ein Ausstellungs- sowie ein Gestaltungskonzept für die neuen (alten) Räumlichkeiten zu entwickeln.
Alt trifft Neu
Da wir idealerweise zu einem frühen Zeitpunkt in den Prozess hinzugezogen wurden, konnten wir Einfluss auf die Raumstruktur nehmen und mit dem mit der Sanierung beauftragten Ingenieurbüro hinsichtlich der Materialien, Gebäudeinstallation und Farben kooperieren.
Das gut dreihundert Jahre alte Hauptgebäude ist ein zweigeschossiger, kleinteiliger Bau, der vordergründig nicht die besten Voraussetzungen für ein Museum bietet.
Da die begrenzten räumlichen Kapazitäten in großem Widerspruch zum inhaltlichen Umfang standen, war das Verdichten und optische Entschlacken von Inhalten besonders dringlich. Dafür schufen wir trotz der kleinen Räume mithilfe von Trockenbauwänden Zonen, die die Ausstellungsstruktur besser gliedern sollten. Die Atmosphäre des alten Gebäudes sollte sich über die Ausstellung legen, diese aber frisch und modern erscheinen lassen, denn die Kernbotschaft lautet „Bürger ist nicht angestaubt!“. Besucher*innen mit und ohne Vorwissen sollen - das war auch dem Förderverein wichtig - emotional angesprochen, abgeholt und mitgenommen werden.
Rundgang mit Blickachsen
Im Erdgeschoss befindet sich der Prolog in Form eines übergroßen Setzkastens. Er gibt den Besucher*innen eine Vorschau auf die Ausstellungsthemen. Gleichermaßen kann dieser Raum auch für das Ausklingen des Ausstellungsbesuches genutzt werden: Hier bietet sich eine Verweilmöglichkeit mit vertiefendem Lesestoff und Blick auf die Bürger-Büste im schönen Pfarrgarten.
Der eigentliche Ausstellungsbereich erstreckt sich über das gesamte Obergeschoss des Haupthauses. Gehende Besucher*innen gelangen über eine gewendelte Treppe in die Abteilung über Bürgers Leben und Persönlichkeit. Er überrascht als Mann mit vielen Facetten: mit seinem unkonventionellen Lebenswandel – Bürger führte eine Ehe zu dritt - regte er für Aufsehen und eckte vielerorts an. Um den verschiedenen Aspekten seiner Persönlichkeit gerecht zu werden und in den Raum zu holen, haben wir kompakte, prismenförmige Module entwickelt, die Bürgers unsteten Lebensweg und seine innere Zerrissenheit aufzeigen. Die Bezüge nach draußen sind wichtig, denn beim Blick in den Garten können Besuchende die gleiche Perspektive wie Bürger einnehmen, als er als Junge in diesem Haus lebte.
Die zweite Abteilung widmet sich dem literarischen Schaffen Bürgers. So abwechslungsreich sein Wirken war, so kurzweilig verhält es sich hier mit der Szenografie: mal dominiert das Wort, mal wird es ganz schaurig, mal findet man sich vor einer Wolkenwand wieder. Die Farbwelt ist hierbei dennoch homogen, weist lediglich Nuancen auf und dient als Klammer.
In der letzten Abteilung wird Bürgers Leben und Werk in Bezug zur Epoche gesetzt. Im Fokus stehen dabei die Forderungen des Sturm und Drang und die Bedeutung der Aufklärung für die Moderne. Bekannte Werke dieser Literaturepoche werden in zeitgemäßer Form gezeigt. Rollstuhlfahrer*innen und gehbehinderte Besucher*innen starten hier mit ihrem Rundgang.
Trotz der räumlichen Beengtheit wurden eine barrierearme Durchwegung und viele Sitzmöglichkeiten geschaffen. Jede Abteilung hat eine eigene Farbwelt, die Sanftheit ausstrahlt. Immer wieder ergeben sich Blickachsen durch die Räume. Insgesamt wurde eine harmonische Atmosphäre geschaffen - und doch lauern überall kleine Überraschungen.
Literatur zum Anfassen und Hören
Neben Laien und Expert*innen werden gezielt Kinder angesprochen. Es gibt eine Kinderebene mit einem eigenen Leitsystem: schnell finden junge Besucher*innen heraus, dass sie überall dort, wo etwas knallgelb hervorblitzt, fündig werden: verständliche Texte, unterhaltsame Interaktionen, kindgerechte Hörstationen und ein digitales Zuordnungsspiel. Im Museum wird viel dafür getan, bereits die jüngste Generation für Literatur zu begeistern.
Entstanden ist ein mit allen Sinnen erfahrbarer Erlebnisraum, der die Besuchenden nicht nur in die Vergangenheit befördert, sondern auch an deren eigene Lebenswelt anknüpft. So sind Bürgers Balladen als Rap genauso wie klassische Vertonungen seiner Gedichte zu hören. Darüber hinaus gibt es ein Geräuschequiz, bei dem Besuchende Bürgers Sprächschöpfungen erraten müssen. Überhaupt sind viele Hörstationen zu finden, die allesamt mit Braillebeschriftung versehen wurden.
Das Wechselspiel zwischen historisierend und modern spiegelt sich ebenso in der Grafik wider: klassizistische Etiketten wurden in klare, vereinfachte Formen abgewandelt. Und auch hier wurde auf einen barrierefreien Zugang geachtet: Die Texttafeln werden - wie auch die Exponate - auf unterschiedlichen Höhen präsentiert. Die Farbgestaltung ist kontrastreich und die Schriftgrößen ausreichend groß. So ist in Molmerswende Literatur für Besucher*innen mit und ohne Beeinträchtigung greifbar geworden.
Aktuell befindet sich das Museum in der Winterpause, aber auf Anmeldung werden Gruppen durchgeführt (Tel. 034779 20309).
Am ersten Adventswochenende dürfen Interessierte zwischen 11 und 16 Uhr einen Blick in die Ausstellung werfen.
Ab 1. März 2025 stehen die Türen dann immer mittwochs bis sonntags zwischen 11 und 16 Uhr offen.
Konzeption + Gestaltung: INSEL + MEILE Museumskulturen
Grafik: srw studio
Gesamtrealisierung: INSEL + MEILE